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Barcelona-Effekt und ein Nachruf auf den polnischen Fußball

PR dla Zagranicy
Markus Nowak 27.06.2012 13:43
Die Fußballeuropameisterschaft und der Fußball sind mal wieder wichtige Themen in der Presse zwischen Oder und Bug.

RZECZPOSPOLITA: Barcelona-Effekt auf Polnisch

In der konservativen Zeitung „Rzeczpospolita“ wird heute ein Kommentar von Maciej Grelowski über die Effekte und Folgen der Europameisterschaft abgedruckt. Grelowski ist heute Chef eines Unternehmerverbandes, war aber über zehn Jahre lang Chef der polnischen Reisebüro- und Hotelkette Orbis. Also wichtiger Tourismusfunktionär. Und aus der Perspektive des Tourismus kommentiert Grelowski die EM. Die Meisterschaften seien eine besondere Mobilsierung des polnischen Staates in allen Belangen gewesen, resümiert er schon eingangs. Grelowski glaubt, die größte Errungenschaft sei der zivilisatorische Vorsprung, der im Zuge der der Vorbereitung gemacht wurde. Aus eigener Erfahrung schreibt er, die nun fünfstündige Fahrt auf der neuen Autobahn von Warschau nach Berlin lasse das Gefühl aufkommen, man sei polnsicher Europäer.

Aber, um wieder auf die Aussichten der Tourismusbranche nach der Europameisterschaft zu kommen, schreibt der ehemalige Orbis-Chef, die EM bringe für Hoteliers und den gesamten Tourismussektor kaum spürbare Gewinne. Abgesehen von einigen Gastronomen in den Austragungsorten. Denn die Bilanzen müssen komplementär und aufs gesamte Jahr gesehen werden. Die reellen Effekte stellen sich auf einer anderen Ebene ein, so der Kommentar in der „Rzeczpospolita“. Polen hatte die Möglichkeit, über drei Wochen lang im Ausland „ein anderes Polen“ zu präsentieren.

Durch die stundenlange TV-Übertragungen aus dem Land zwischen Oder und Bug, haben die anderen Länder Europas mehr von Polen mitbekommen als während der mehr als 20 Jahre dauernden Transformation. Die Anwesenheit Polens in den internationalen Medien bringe einen nachhaltigen, wenn auch späteren, Effekt für Tourismus und Wirtschaft, schreibt das Blatt. Der Tipp: Statt weiterer Werbekampagnen für Polen eher eine Dankes-Kampagne für die Teilnahme und die gute Berichterstattung in den anderen Länden.

TYGODNIK POWSZECHNY: Nachruf auf den polnischen Fußball

Die katholische Wochenzeitung „Tygodnik Powszechny“ druckt in ihrer diesmaligen Ausgabe einen Gastkommentar von Pawel Czado ab. Czado führt einen der beliebtesten Fußballblogs in Polen und schreibt einen „Nachruf auf den polnischen Fußball“, wie er den Text nennt. Ihn ihm geht es um die aussichtslose Lage des Rasensports in Polen, wenn nicht – ja – ein Wunder geschehe! Und er führt vor Augen: Haben frühere polnische Nationalmannschaften auch oft verloren, doch immerhin in wirklich wichtigen Spielen mitgespielt. Er erinnert an die Meisterschaften 1974 und 1982. Heute verlieren die Kicker auch, doch ohne in wirklich wichtigen Spielen dabei zu sein. Sie spielen, so Czado, um überhaupt in wichtigen Spielen mitzuspielen.

Czados Meinung nach, reiche es nicht mit geschwungenen Worten nach einer besseren Jugendarbeit zu verlangen. Stattdessen unterbreitet er einen – er gibt es selbst zu – unpatriotischen Vorschlag: Den polnsichen Fußballverband PZPN müsse ein Ausländer führen. Denn mit einem ausländischen Nationaltrainer und ausländischen Fußballern habe man es versucht. Doch nur ein Verbandschef aus dem Ausland, der den PZPN nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten anführt und in keiner Weise mit den Funktionärskungeleien angesteckt ist, könne den Fußball zwischen Oder und Bug wieder auf die Beine helfen.

Czado argumentiert mit einer Fülle einleuchtender Gründe für diese Umkremplung. Etwa: Der PZPN ist in keinster Weise demokratisch und funktioniere nach eigenen Prinzipien. So müssten sich die Funktionäre in keinster Weise vor den Fans und ihrer eventuellen Abneigung gegenüber den PZPN-Führern fürchten. Getreu dem Motto: Fußball mit einem unbeliebten PZPN-Chef ist noch immer besser als überhaupt kein Fußball. Ein Ausländer als PZPN-Chef müsse her. Und weil das wohl niemals eintreffe, bleibt nur noch der Glaube an etwas, was den polnischen Fußball grundlegend reformiert: ein Wunder. Ein Fußballwunder.

GAZETA WYBORCZA: Wir sind keine Provinz

Das links-liberale Blatt „Gazeta Wyborcza“ drukt in ihrer heutigen Ausgabe einen Kommentar von Michal Jamroz ab, der die Europameisterschaft aus der Sicht eines Danzigers resümiert. Gleich im ersten Satz schreibt er, Danzig habe die Prüfung – also die EM-Austragung – bestanden. Vor der Europameisterschaft habe der Gazeta-Wyborcza-Journalist noch angenommen, die unfertige Infrastruktur werde ein Problem für die ausländischen Fans sein und die Stadt mit dem ohnehin schon sehr dichten Verkehr werde erlahmen. Doch nichts dergleichen.

Niemals habe er erwartet, schreibt Michal Jamroz, dass die Stadt sich so gut auf die EM vorbereitet. Denn wider erwarten sei das verkehrstechnische Chaos ausgeblieben. Weil etwa die Danziger S-Bahn rund um die Uhr fuhr, aber auch alle Straßenbaustellen für die Zeit der EM gestoppt wurden und somit Verkehrsstaus ausblieben. Es klinge paradox, schreibt die „Gazeta Wyborcza“, aber nicht trotz, sondern gerade wegen der Europameisterschaft kam man in Danzig gut voran.

Zudem: Die Fans aus den Mittelmeerländern, wie Spanien, Italien und Kroatien aber auch Irland, hätte eine Atmosphäre in die Stadt gebracht, die seinesgleichen sucht. So sei die Fanmeile, die wegen ihrer Lage am Rande der Stadt kritisiert wurde, immer voll gewesen. Auch die berühmte Danziger Altstadt, die sonst ab 22 Uhr die Bürgersteige hochklappe, war im Juni eine kleine Partymeile. Die vier Spiele, die in der Stadt ausgetragen wurde, haben bewiesen – schreibt Jamroz weiter – Danzig könne das weltweit drittgrößte Massenevent mitorganisieren. Und im Titel seines Kommentars klingt auch schon die Konklusion an: „Danzig, also wir, sind keine Provinz.“

Sprecher und Autor: Markus Nowak

Redaktion: Joachim Ciecierski

tags: EM2012
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